Kultur im Ländle – Cindy Holmberg und Stefanie Seemann MdL, Sprecherin für Kultur im ländlichen Raum, im Gespräch mit Kultureinrichtungen zu den Corona Soforthilfen
Die Lichter in unseren Kunst- und Kulturstätten sind ausgegangen und der Grund ist die Coronakrise. Jetzt ist die Zeit für Künstlerinnen, Kreative und Kulturpolitik sich zu organisieren und stärker zu vernetzen als bisher, auch um die gesellschaftliche Relevanz und das wirtschaftliche Gewicht der Kultur deutlich zu machen. In diesem Sinne habe ich ein digitales Treffen mit Kulturschaffenden aus der Region organisiert.
Die Abendveranstaltung wurde von Stefanie Seemann MdL (Ausschuss für Wissenschaft, Forschung und Kunst) mit einem Rundumschlag zum Thema Kultur im Ländle eröffnet. Seemann stellte am Anfang der Veranstaltung fest, dass viele erst jetzt gemerkt haben, wie wichtig Kunst und Kultur für Zusammenhalt und gesellschaftliche Teilhabe sind. Denn Kunst und Kultur sind viel mehr als Freizeitgestaltung, sie bilden auch das Fundament, auf dem eine offene, vielfältige und demokratische Gesellschaft gründet. Durch den allgemeinen Trend zur Individualisierung in der Gesellschaft wird es immer schwieriger, Menschen für ein langfristiges Ehrenamt zu gewinnen.
In diesem Bereich hat das Land reagiert und über €100.000 zur Verfügung gestellt, um gemeinsam mit den Landkreisen „Regionalmanagerinnen Kultur“ und „Regionalmanager Kultur“ in den regionalen Verwaltungen zu etablieren, die Kulturakteure vor Ort beraten und unterstützen, ehrenamtliche Vereine und Initiativen bei ihrer praktischen Arbeit entlasten, EU- und bundesweit Fördermittel einwerben und die regionale Kulturpolitik weiter entwickeln werden. Baden-Württemberg ist mit diesem Projekt das erste Land im Bund, das die Einrichtung professioneller Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für Kultur in ländlichen Räumen finanziell und fachlich unterstützt.
Alles in allem ist der Kulturetat in Baden-Württemberg in den letzten 10 Jahren um 40% gewachsen. Ziele für die Zukunft sind die soziale Lage von Künstlern zu verbessern, kulturelle Teilhabe zu stärken und mehr Raum für Kunst und Kultur zu schaffen, insbesondere durch die Verlagerung von Projektförderung auf mehrjährige Entwicklungsvorhaben.
In der derzeitigen Krise hat die Coronahilfe für viele Kulturschaffende eine wichtige Rolle gespielt, insbesondere die Soforthilfe der Landesregierung und Zahlungen an Soloselbständige mit dem Ziel, Sozialhilfebezug zu vermeiden.
Im Laufe des Abends wurde es deutlich, dass der Einfluss der Krise auf die Kultur so vielfältig ist wie die Kultur selbst. Gerald Ettwein von den Spätzündern berichtete, dass er auf andere Medien, wie Video, auszuweichen versucht. Doch der Kontakt mit dem Publikum fehle, das Kunst lebe zum Teil von der Interaktion. Der Kaufmännische Leiter des Theater Lindhofs Christian Burmeister-van Dülmen stimmte ihm zu: sein Theater veranstaltet Streaming Events (die zum Teil durch Probleme der Digitalisierung im ländlichen Raum erschwert werden), Theater müsse aber live sein und es sei immer schwierig ohne den Rückhalt vom Publikum zu spielen. Die meisten Theaterstücke lassen sich eher nicht mit Abstand aufführen. Das Theater Lindenhoff profitiert zwar von Landes und Bundesförderprogrammen, aber Theater ist Treffpunkt. Die Probleme der Coronakrise lassen sich nicht durch Geld allein beheben.
Hierin waren sich die Teilnehmer einig: Benedict von Bremen von der Initiative Hechinger Synagoge e.V. erklärte, dass sein Gedenk- und Lernort auch einige Digitalangebote macht, aber als Ort des Dialoges zwischen Judentum, Christentum und Islam fehle auch hier der direkte Kontakt mit Menschen. So sah es auch Susanne Kohler, Vorstandsvorsitzende des Kammerochesters Metzingens. Für ihr Orchester sei ein Publikum essentiell, auch wenn es der Musik nur von Balkonen aus lauschen kann.
Das Land Baden-Württemberg geht zwar neue Wege in der Förderung und Unterstützung des Ehrenamtes, aber wie Christian Keller vom Adler Meidelstetten betonte, Soforthilfe und finanzielle Unterstützung ist kaum da, wenn ein Kulturbetrieb fast 100% ehrenamtlich ist.
Dass Geld alleine nicht das entscheidende Thema ist, wurde auch von Walter Dieterle vom Hirsch in Glems betont. Für ihn seien Kulturveranstaltungen ohnehin meist Verlustgeschäfte und er spare sogar Kosten durch den Lockdown. Aber darum geht es gar nicht. Es sind die Künstler – und weniger die Veranstalter – die in der Krise leiden. Vor allem gehen die Stimmen von Künstlerinnen und Kreativen verloren. Das ist ein Kulturproblem.
Die Abstandsregeln an sich erschweren manch künstlerische Arbeit, wie Eva Schleker vom Naturtheater Hayingen erklärte: ob das Freilichttheater ein Programm bieten kann sei fraglich angesichts Beschränkungen, die die Proben für Amateurtheaterspiele erschwere.
Cindy Holmberg betonte die Bedeutung von Kultur als Weg zu lebendigen Innerorten und ihre Überzeugung, dass auch die kleinteilige Kultur Wertschätzung brauche um das Leben in der Region lebenswert zu machen. Trotz verschiedener Standpunkte und Erfahrungen waren sich alle Teilnehmer (zu denen auch der Burladinger Maler Wolfgang Bastian, Harald Hug vom Kulturforum Metzingen und Jörg Riedlinger von der Wimsener Kulturmühle gehörten) einig, dass die verfassungsrechtlich geschützte Rolle der Kultur finanziell gefördert und in Krisenzeiten rückversichert werden muss, aber auch dass, selbst wenn wir alle potentielle Künstler*innen sein mögen (wie Joseph Beuys es einmal gesagt hatte), die Kultur den Austausch braucht.