Wohnen ist ein menschliches Grundbedürfnis und deshalb ein wichtiges politisches Thema. Das zeigte sich auch an der beachtlichen Teilnehmerzahl, die am Webinar „Wohnen und Bauen im ländlichen Raum“ teilnahmen.
Cindy Holmberg, grüne Landtagskandidatin für den Wahlkreis Hechingen-Münsingen, hatte Chris Kühn, den Tübinger Bundestagsabgeordneten und Sprecher für Bau- und Wohnungspolitik der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingeladen. Zudem diskutierten mit auf dem digitalen Podium: Heinz Wolfram, Vorstandsmitglied vom „Wohnprojekt FreiRaum Hechingen e.V.”, Kai Schultze, Tätowierer und Outdoor-Trainer, der kürzlich ein eigenes Tiny House gebaut hat, Bastian Traub, Inhaber der Uracher Tiny-House-Manufaktur „kleiner Nomade“ und Johannes Mager, Inhaber der Freiburger Tiny-House-Manufaktur „Tiny-Home-Factory“. Chris Kühn skizzierte die ökologischen und sozialen Herausforderungen in einer Zeit der stetig steigenden Miet- und Baupreise und der sich verschlimmernden Klimakrise.
Die Ursache dieser Fehlentwicklung sieht Kühn in der Vernachlässigung des sozialen Wohnungsbaus über Jahrzehnte. In Niedrigzinszeiten sei zudem sehr viel Geld in Immobilien geflossen. So wurde aus dem Grundbedürfnis der Einen das Spekulationsobjekt der Anderen. Viele Menschen müssen einen immer größeren Anteil ihres Einkommens für die Wohnung aufbringen. Baden-Württemberg sei in besonderem Maße betroffen von dieser Entwicklung: 16 der 30 teuersten Städte Deutschlands liegen in BW.Der Bausektor ist auch ein wichtiges Feld für die Bekämpfung der Klimakatastrophe. 40% der Treibhausgas-Emissionen stammen aus dem Bau- und Wohnsektor. In Städten gebe es einige Modellviertel, z.B. das Französische Viertel in Tübingen, die zeigen, wie zukunftsfähige Stadtentwicklung aussehen kann. Wichtig ist dabei, die Infrastruktur bzw. Mobilität vernetzt zu denken mit dem Wohnen.
Es müssen in der Region die Regionalstadtbahn ausgebaut und ein Fahrradstraßennetz geschaffen werden, die das Skelett bieten für nachhaltiges Bauen und Wohnen. Als grüne Antwort stellte Kühn den Gesetzesentwurf „Eine neue Gemeinnützigkeit“ vor, über den nicht gewinnorientierte Unternehmen speziell gefördert werden sollen. Die Grünen möchten unter anderem das Recht auf Wohnen im Grundgesetz verankern und den Sozialen Wohnungsbau stark erweitern. Auf Landesebene konnten die Grünen Politik gestalten und Erfolge verbuchen, wie die Auflegung eines Landeswohnraumförderprogramms über 250 Millionen Euro jährlich, die Novellierung der Landesbauordnung mit Förderung von Holzbau und Elementen der Klimaanpassung. „Wir müssen wohnen neu denken“, so Kühn. Ansonsten drohe „soziale Spaltung und die Klimakatastrophe“. Wie solidarisches Wohnen konkret aussehen kann, stellte Heinz Wolfram, Vorstandsmitglied des Vereins „Wohnprojekt FreiRaum Hechingen“ vor. Er schilderte das Problem, dass viele Menschen im Alter oft vereinsamt in viel zu großen Häusern leben. Der Verein möchte ein lebendiges Miteinander verwirklichen und steht deshalb in Verhandlungen mit der Stadt, die ihnen ein Grundstück in Aussicht gestellt hat. Darauf wollen sie Wohnraum schaffen mit vielen Gemeinschaftsbereichen, aber auch Rückzugsorten für den Einzelnen. 30% des Wohnraums soll dem sozialen Wohnungsbau gewidmet sein, eine Kindertagesstätte in den Gebäudekomplex integriert werden. Der Verein kooperiert mit dem Miethäusersyndikat, das auch die Finanzierung managt.
Über das gemeinschaftliche Konzept soll das Mietpreisniveau der 15 Wohneinheiten dauerhaft unterhalb des Hechinger Mietpreisspiegels liegen. Anschließend lag der thematische Schwerpunkt auf der Wohnform Tiny House. Kai Schultze berichtete von seinem Bauprojekt. Er lebt seit eineinhalb Jahren im Tiny House: „Es lebt sich richtig gut darin.“ Er brauche wenig Platz und war daher auf das Thema „Tiny House“ aufmerksam geworden. Zusammen mit seiner Freundin hat er sich bei einer Messe Anregungen geholt. Am schwierigsten sei das finden des Abstellplatzes gewesen. Auch seien die üblichen bürokratischen Abläufe beim Bauen schlicht nicht auf Tiny Houses angepasst. Der Bauantrag sei erst einmal 5 Monate lang bei einem Sachbearbeiter gelegen, der schlicht nicht wusste, wie er mit diesem Bauprojekt umgehen sollte.
Das bestätigte Bastian Traub. Er erhalte viele Anfragen zu den Tiny Houses, die er in seiner Manufaktur produziert. Er liefert Bausätze für Menschen, die selber handwerklich aktiv sein möchten und/ oder wenig Geld haben. Er produziert aber auch Tiny Houses schlüsselfertig. Auf drei Jahre ausgebucht sei er, denn Tiny Houses boomen. Häufig scheitere der Bau aber am fehlenden Grundstück. „Und wenn das mal gefunden ist“, meint Johannes Mager, Inhaber einer Freiburger Tiny-House-Manufaktur, „dann scheitert das Projekt immer mal wieder am Baurecht, in dem Tiny Houses nicht vorgesehen sind.“ Es gebe einfach noch keinen geregelten Ablauf für diese Bauform. Cindy Holmberg fasste zusammen, dass es offensichtlich noch einigen Regelungsbedarf gebe. Ein grüner Bauminister könnte Tiny Houses rechtlich durchdenken und Hürden beseitigen. Viele Teilnehmer*innen, auch aus anderen Bundesländern, rundeten mit ihren Fragen den Abend ab. „Das sollten wir unbedingt wiederholen“, waren sich Cindy Holmberg und Chris Kühn nach zwei Stunden einig, „hier gibt es offensichtlich Gesprächs-, aber auch Regelungsbedarf“.